Artykuły [1063]
DIE VOLKSREPUBLIK POLEN VON SEPTEMBER 1980 BIS DEZEMBER 1981 IN DEN AUGEN VON DER STASI
Die Änderung der politischen Lage in der Volksrepublik Polen, die sich zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts vollzog, wurde durch das Ministerium für Staatssicherheit MfS der DDR aufmerksam verfolgt. Im Beitrag wird die Unruhe, die die August-Streiks 1980 sowie die in Polen eintretenden gesellschaftlichen Änderungen in der DDR hervorgerufen haben, aus Stasi- Sicht beschrieben. Behandelt wird ebenfalls der Weg zur Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność und deren Aktivität bis Dezember 1981. Die Behörden der DDR fürchteten die Übertragung antisozialistischer Stimmungen aus der VR Polen, die die Position und die Autorität der SED erschüttern konnten. Um einer derartigen Entwicklung entgegenzuwirken, begann die Stasi die Ursachen, die zur politischen Krise in Polen geführt hatten, zu analysieren.
Im MfS wurden die Meinungen der DDR-Bürger sowie der in der DDR arbeitenden Polen über die Entwicklungen in Polen gesammelt, wobei man sich der Berichte des von der Stasi aufgebauten Denunziantennetzes bediente. Die Stasi beobachtete auch aufmerksam die Kaderänderungen in den Parteispitzen und analysierte die Umstände des Verlustes der führenden Rolle durch die PVAP PZPR in der polnischen Gesellschaft. Besondere Aufmerksamkeit der Stasi galt dem neu gewählten Ersten Sekretär der PVAP Stanisław Kania. Es wurden Schlussfolgerungen aus der durch die Stasi durchgeführten Analyse Kanias sowie dessen Rolle in der polnischen Krise gezogen. Behandelt wurde auch das Problem der sog. doppelten Mitgliedschaft. Angesicht der Tatsache, dass viele PVAP-Mitglieder den neuen unabhängigen Gewerkschaften beigetreten waren, kamen Zweifel auf, gegenüber welcher von diesen Organisationen sie loyal bleiben. Die Loyalitätsfragen interessierten die Stasi auch in Bezug auf die Mitarbeiter der Massenmedien, der Bürgermiliz MO und des Gerichtswesens. Es wurden Faktoren festgelegt, die aus der Sicht der Stasi, die Meinungsbildung in Polen beeinflussten. Hervorgehoben wurde die Rolle, die der katholische Glaube und die katholische Kirche sowie das Radio Freies Europa spielten. Beschrieben wurde die Situation, die zum Verzicht auf die Mitgliedschaft im Zentralrat der Gewerkschaften und demzufolge zur Aufl ösung dieses Verbandes führten. Auf Grund der Beobachtung der Entwicklungen in Polen wurde vom MfS die Entscheidung über die Bespitzelung und Infi ltration der Opposition getroffen. Um Informationen an der Quelle zu gewinnen, wurde im MfS beschlossen, zwei Konfi denten nach Danzig zu entsenden. Im Beitrag wird einer von ihnen sowie seine Methoden und die Art der gewonnen Informationen vorgestellt. Es handelt sich dabei um den sich für einen Journalisten ausgebenden Andreas Ciesielski, der in den Stasi-Akten unter dem Decknamen IM „Josef“ auftritt. Auf Grund seiner Berichte werden Umstände und Verlauf des durch den MfS-Agenten durchgeführten Interviews mit Lech Wałęsa dargestellt.
Beschrieben werden Ereignisse, die zur Legalisierung der Gewerkschaft Solidarność geführt haben, sowie deren Rolle in der VR Polen aus der Sicht der Stasi. Anhand der von der Stasi gesammelten Berichte wird die Unruhe, die in Stasi-Reihen angesichts der wachsenden Bedeutung der Solidarność in der polnischen Bevölkerung bei gleichzeitiger sinkenden Unterstützung für die PVAP herrschte, geschildert. Die Stasi vertrat die Meinung, dass die Situation, in der die Solidarność über den Regierungskurs zu entscheiden und die öffentliche Meinung zu beeinfl ussen versuchte, nicht geduldet werden konnte. Ein derartiges Szenario bedeutete laut MfS grünes Licht für die Abschaf- fung des sozialistischen Systems auf legalem Wege. Die Stasi war der Meinung, dass die PVAP diese Gefahr ignoriert hatte.
Darüber hinaus wies die Stasi darauf hin, dass die polnischen Massenmedien, insbesondere das polnische Fernsehen, bereits unter der Kontrolle der Solidarność stand. Ein Grund der Unruhe war für die Stasi auch die Situation im polnischen Gerichtswesen. Das MfS war davon überzeugt, dass die beim Justizministerium beschäftigten Solidarność-Mitglieder dessen Effektivität bedeutend erschwächten. Die Stasi vertrat auch die Ansicht, dass die nächste Etappe der Machtübernahme durch die Solidarność die Übernahme der Kontrolle über die Strafverfolgungsbehörden und über das Gerichtswesen sein würde.
Im Beitrag wird ein Entwurf für das Solidarność-Programm behandelt, das im Rahmen des Gewerkschaftswahlkampfes koloportiert wurde. Das Programm wurde im September 1981 während des I. Solidarność-Kongresses, auf dem Lech Wałęsa zum Vorsitzenden der Gewerkschaft gewählt und auf dem gleichzeitig die Bürgerbewegung Komitee zur Verteidigung der Arbeiter KOR aufgelöst wurde, angenommen. Die durch die versammelten Delegierten angenommene Botschaft an die Arbeiter Osteuropas, die die Werktätigen zur Gründung der unabhängigen Gewerkschaften ermutigt hat, war aus der Sicht des MfS ein äußerst beunruhigendes Ereignis. Laut Analysen der Stasi und des polnischen Ministeriums für Innere Angelegenheiten MSW sahen die Anführer der Solidarność eine Möglichkeit der Konfrontation mit den kommunistischen Behörden. Am 5. November 1981 kam es zu einem Konsultationstreffen zwischen den Vertretern des MSW und der Stasi, auf dem die Stasi den polnischen Partnern ihre Unterstützung im Kampf gegen die der Partei und dem Sozialismus drohende Konterrevolution zusicherte.