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DAS SCHATTENBILD VON JOHN RABE IM LICHTE SEINER TAGEBÜCHER UND DES FILMS VON FLORIAN GALLENBERGER JOHN RABE
Der Film von Florian Gallenberger John Rabe, der im Jahre 2009 auf den Spielplan in Deutschland gesetzt wurde, entriss aus der Vergessenheit die Person des Hamburger Kaufmanns, „Schindler aus China“, der während des Massakers in Nanjing ca. 250 000 Chinesen gerettet hat. Der Film, der im Stil des Heldenepos gedreht wurde, brach das im deutschen Kino existierende Tabu. Er zeigte einen guten Nazi. Jedoch der Regisseur, der die Geschichte von Rabe an die Konvention der Gattung anpassen wollte, verübte gewisse Abweichungen von der Wahrheit bei der Inszenierungsweise der Person.
Er hob auf keine entschlossene Weise die Verwickeltheit der politischen Haltung des Helden hervor, vor allem seine aufrichtige Bewunderung für Hitler. Anstatt einer Person voller Ambivalenz, erhielt der Zuschauer einen eindimensionalen Helden, der selbstverständlich auf der richtigen Seite steht. In welchem Maße entspricht das Bild von Rabe der Wirklichkeit?
John Rabe, geboren am 23. November 1882 in Hamburg, erhielt eine kaufmännische Ausbildung. Seit 1911 arbeitete er für die Firma Siemens in China, wo er auch dreißig Jahre lang lebte. Sein Verhältnis zu den ihm untergeordneten Mitarbeitern kann als väterlich bezeichnet werden, was angesichts der dramatischen Lage im Zusammenhang mit der Belagerung der Stadt Nanjing durch die japanischen Truppen dazu beitrug, dass er die Stadt nicht verließ, sondern blieb, um seine Mitarbeiter, sein Vermögen und die Interessen von Siemens zu retten.
Zusammen mit den anderen Ausländern, die beschlossen haben nicht auszureisen, gründete er ein Internationales Komitee, welches die Bildung einer Sicherheitszone für die Zivilbevölkerung bezweckte. Er wurde zum Vorsitzenden des Komitees gewählt. Empfindlich für das menschliche Leiden öffnete er die Tore seines Hauses und gab Zufl ucht ca. 650 Personen. Während der Belagerung der Stadt durch die Japaner war er Zeuge von vielen Verbrechen, die er in seinen Tagebüchern u.d.T. „Bomben über Nanjing — aus dem Tagebuch eines lebenden Budda“ beschrieben hat. Zum Schutz einer möglichst großen Zahl der Zivilbevölkerung nutzte er das Hakenkreuz, das Symbol des Staates, der mit Japan verbündet war. Die dank ihm geretteten Chinesen nannten ihn „lebender Budda“.
Der Ruhm seiner Taten gelang nie nach Deutschland. Der deutschen Presse wurde untersagt, in Hinblick auf die durch das Dritte Reich geführte Außenpolitik, über die Geschehnisse verbunden mit den Massakern in Nanjing, zu berichten. Rabe, der Augenzeuge der Bestialität der japanischen Soldaten war, entschloss sich nach der Rückkehr nach Berlin einen Zyklus von Vorlesungen zu organisieren, die der Tragödie der chinesischen Zivilbevölkerung gewidmet waren. Er war davon überzeugt, dass Hitler keine Ahnung über den tatsächlichen Verlauf des chinesisch-japanischen Konflikts hatte, deshalb wollte er sich auch mit ihm persönlich treffen und ihn über das Ausmaß der Katastrophe zu informieren, wobei er auf eine Schwenkung in der Politik gegenüber Japan rechnete. In Anbetracht dessen, dass dieses sich unmöglich erwies, schickte er einen Brief an den Führer mit beigefügtem Bericht über die Lage in Nanjing. Dieses war leider die Ursache, dass er von der Gestapo festgenommen wurde. Während des Verhörs versicherte er, dass er völlig die politische Linie der Partei unterstützt, was zur Folge seine Entlassung hatte. Seine Tagebücher wurden beschlagnahmt, und ihm selbst wurde verboten seine Meinungen über die Ereignisse, deren Zeuge er war, zu äußern.
Um Notizen anzufertigen, kehrte er am Ende des Krieges zurück, als die Rote Armee schon Berlin besetzte. Auf den Seiten der Tagebücher fi ndet man Beschreibungen von Diebstählen, Bombenangriffen, Gewalttaten sowie des endlosen Hungers und der zunehmenden Probleme mit der Gesundheit und dem Finden einer Arbeit. Die Freude über die erhaltene Stellung des ersten Übersetzers in der britischen Einheit, die die Stadt Berlin verwaltete, dauerte aber nicht lange, denn als seine nazistische Vergangenheit ans Tageslicht kam, wurde er entlassen. Das von ihm vorübergehend bekleidete Amt des Vizevorsitzenden der lokalen Abteilung der NSDAP in Nanjing war der Hauptgrund für den Misserfolg beim Entnazifizierungsprozess. Erst nachdem Rabe eine Berufung eingelegt hatte, wurde er in Hinblick auf die Anerkennung seiner humanitären Tätigkeit in Nanjing von den früher gestellten Vorwürfen befreit. Jedoch die ungerechte Beurteilung seiner moralischen Einstellung sowie die unwürdige Behandlung durch die Firma Siemens, deren loyaler Mitarbeiter er über dreißig Jahre lang war, lösten in ihm das Gefühl des Missverständnisses und der Ausschließung aus.
In China wurde er verehrt als lebender Budda, aber in seiner Heimat bekam er von niemandem Hilfe. Die Chinesen haben jedoch ihren Helden nicht vergessen. Sie schickten ihm Lebensmittelpakete, die das Überstehen möglich machten. Es wurde ihm auch eine Wohnung und lebenslängliche Rente in China vorgeschlagen im Falle, wenn er als Belastungszeuge vor dem Internationalen Militärgerichtshof für Fernosten in Tokio erschienen wäre. Rabe hat sich dafür nicht entschieden. Verarmt und vergessen starb er am 5. Januar 1950.
Erst vierzig Jahre nach seinem Tode kamen die von ihm geschriebenen Tagebücher ans Tageslicht. Die Familie, in deren Besitz sich die Tagebücher befanden, befürchtete ihre Veröffentlichung in Hinblick auf den politischen Inhalt und die Notwendigkeit einer Konfrontation mit der nazistischen Vergangenheit. Man war sich der wahren Rolle nicht bewusst, die Rabe in Nanjing gespielt hat. Erst dank der Initiative eines Vertreters eines amerikanischen Verbands, der die Opfer des Massenmords in Nanjing der Vergessenheit entreißt, wurden die Tagebücher veröffentlicht. Mit der Bearbeitung des literarischen Nachlasses von Rabe befasste sich in Deutschland Erwin Wickert, der während seiner Reise durch Asien im Jahre 1936 die Möglichkeit hatte, sich persönlich mit dem „lebenden Budda“ zu treffen.
Und eben dank seiner Publikationen konnten die deutschen Leser sich zum ersten Mal mit der außergewöhnlichen Biographie des Hamburger Unternehmers vertraut machen. Die Chinesen pflegen fortdauernd die Erinnerung an den Heldenmut von John Rabe, dagegen die offi zielle Anerkennung seiner Verdienste seitens Deutschlands erfolgte erst im Jahre 2003 während des Besuches des Bundespräsidenten Johannes Rau in China.